Walker's Haute Route - Vom Mont-Blanc zum Matterhorn

Walker's Haute Route - Vom Mont-Blanc zum Matterhorn

Wir kommen sonntags zur Mittagszeit mit dem Bus in Chamonix an. Wir schnappen unsere Rücksäcke, verstauen unsere Masken und fangen sofort an die Berggipfel abzusuchen: Wo ist der Mont-Blanc? Wo geht es morgen los? Auf welcher Hangseite werden wir entlanglaufen? Es ist Mitte August, die Sonne scheint und nach zwei entspannten Tagen in Lausanne fühlen wir uns einigermaßen fit und vorbereitet.

Unser erster Tag der Fernwanderung beginnt gemütlich. Wir legen die ersten 1000 HM mit der Bergbahn zurücklegen und kommen daher schon um 14 Uhr an der Hütte Lac Blanc an. Bis zum Check-in um 17 Uhr erkunden wir die umliegenden Seen mit Blick auf den Mont Blanc. Die Hütte selbst ist so klein, dass wir erst dachten falsch zu sein. Und sehr gemütlich.

Ein Tag mit vielen Emotionen: Herrlichstes Wetter beim Abstieg nach Argentière. Aber es gibt nur ein Thema: Bettwanzen. Im Supermarkt gibts frisches Baguette und es wird richtig heiß, als wir den Ort verlassen. Am höchsten Punkt - die Hütte ist schon auf der anderen Seite des Talkessels zu sehen - schlägt das Wetter um und wir werfen uns in unsere Regenjacken. Der Mont Blanc verschwindet in den Wolken hinter uns und wir marschieren auf dem Bergrücken durch Heidelbeerbüsche der Schweizer Grenze entgegen.

Die Nacht war nur mittel gut. Dafür sehen wir am Morgen den Sonnenaufgang und ein letztes Mal den Mont Blanc. Zu Daniels Geburtstag gibt es neben Nutella auch eine Nacht ohne Bettwanzenbissen. Hoffentlich bleibt es dabei!

Wir starten recht früh, da wir bis zu unserem nächsten Etappenziel eine lange und anstrengende Strecke vor uns haben. Es geht 1.300 HM bergauf. Aber vor allem vor den 1.800 HM bergab habe ich Respekt. So viele Tiefenmeter bin ich noch nie an einem Tag gewandert. Dabei passieren wir das sog. Fenêtre d'Arpette, eine kleine Öffnung in einem Bergkamm zum anderen Tal. Wir brauchen deutlich länger als angegeben (wie fast immer in der Schweiz). Der Weg ist teilweise anspruchsvoll, aber nicht so schlimm wie aufgrund mancher Erzählungen befürchtet.

Vom Ortszentrum Liddes geht es auf direktem Weg zu unserem heutigen Ziel, der Cabane de Mille. Der Anstieg ist zwar nicht lang, aber durch den späten Start zur Mittagszeit wird es heiß und dadurch doch anstrengend. Wir sind herrlich alleine unterwegs und wandern durch duftende Nadelwälder und blühende Wiesen. Die futuristische Cabane der Mille erreichen wir kurz nach 14 Uhr. Zeit genug, um im Liegestuhl auf der Terrasse zu entspannen (Julia) und einen Trailrun zu machen (Daniel).

Die Hütte ist super modern mit einer tollen Architektur. Der Speiseraum ist komplett mit bodentiefen Fenstern verglast. Das Bettenlager für 12 teilen wir uns nur noch mit einem anderen Deutschen. Nach dem Essen geht es noch zum Sundowner auf den Hügel hinter der Hütte und wir staunen, wie die Sonne spektakulär hinter dem Mont Blanc Massiv verschwindet.

Früh geht es los. Als wir vor die Tür treten hat die Sonne die Hütte noch nicht erreicht. Einer der höchsten Punkte der gesamten Wanderung steht heute auf dem Plan. Direkt von der Cabane de Mille geht es über den Bergrücken auf den Mont Ragneux (3084 HM). Am Abend zuvor haben wir festgestellt, dass es sich bei dieser Variante um eine blau- weiße alpine Route handelt. Der Aufstieg ist schweißtreibend, technisch aber unkritisch und der Ausblick belohnt jede Anstrengung. Wir sehen noch einmal den Mont Blanc! Anschließend geht es lange bergab und es wird wieder ein richtig warmer Tag.

Da wir gut in der Zeit liegen, stärkt sich Daniel bei einer kleinen Hütte mit zwei Scheiben Raclette mit Kartoffeln und eingelegten Knoblauchblüten - um 11:15 Uhr. Der Petit Combin mit seiner eindrucksvollen Gletscherkuppe dominiert jetzt die Szenerie. Ein besonderer Moment der Wanderung: Der zweite Anstieg des Tages zieht sich wenig spektakulär eine Grasflanke hinauf, doch mit dem Erreichen der Scharte ändert sich alles und vor einem breitet sich der riesige Gletscher des Grand Combin aus und wir blicken auf den dramatisch zerklüfteten Gletscher des 4.000er. Der absolute Wahnsinn.

Gegenüber auf der anderen Hangseite können wir bereits die Cabane FXB Panosiere ausmachen. Um diese zu erreichen, müssen wir eine lange Hängebrücke über das Ende der Gletscherzunge überqueren. Die Hütte selbst könnte nicht spektakulärer liegen. Gebaut auf einer Moräne liegt sie direkt über dem Gletscher. Der Ausblick ist atemberaubend! Nach unserer Ankunft gibt es Mal wieder Tartes. Diesmal Heidelbeere. Eine Outdoor Dusche und nette Gespräche beim Abendessen mit zwei Schweizern, die einiges über Hütten und Trekking in Kamtschatka zu erzählen haben runden den perfekten Tag ab. Die Nacht im spärlich belegten Bettenlager ist die bisher Beste.

Als wir den hässlichen Steinbruch verlassen ist es überraschend kalt. Dafür werden wir auf der anderen Talseite mit einer umso schöneren Landschaft und tollen Ausblicken belohnt. Nach grünen Wiesen, vorbei an einem Stausee, gelangen wir wieder in eine Steinwüste. Wir lassen uns viel Zeit und machen das erste Mal unterwegs ausgiebig Pause. Doch trotz Dösen im Gras kommen wir schon um 14 Uhr an der Hütte Cabane de Dix an. Auf den letzten Metern erwarten uns drei Steinböcke und zudem ein überraschend großer Gletscher, der direkt vor der Hütte liegt. Schon wieder ein absolutes Highlight!

Auch hier wiederholt sich das Phänomen der letzten Tage: Wir kommen an einer leeren Hütte an und innerhalb weniger Minuten fallen noch weitere Wanderer ein bis alles voll ist. Trotz der sehr erholsamen letzten Nacht, sind wir ziemlich müde und so erkundet nur noch Daniel die Umgebung. Die Hütte bietet sich für einfache Hochtouren an und dementsprechend sind hier auch viele Bergsteiger mit Pickel und Seilen unterwegs. Auch die trinkfreudige Wandergruppe, die mit uns am Morgen gestartet ist, übernachtet heute in der Hütte.

Heute steht die erste Hotelnacht nach fünf Hüttennächten an. Juchu!!! Aber zuvor heißt es: Gletscherüberquerung und kleine Kletterpartie bevor es ins Tal geht. Wir queren den Gletscher unterhalb der Hütte. An nur wenigen Stellen ist das blanke Eis zu sehen. An den meisten Stellen ist der Gletscher mit Geröll bedeckt. Trotzdem lässt sich in drei kleinen Rinnen die Faszination eines Gletschers und das bekannte Gletscherblau erahnen. Anschließend müssen wir eine steile Wand überwinden. Die rostigen Leitern machen nicht den vertrauenswürdigsten Eindruck. Als Entlohnung gibt es zum ersten Mal einen Blick auf die Spitze des Matterhorn.

Der Weg bergab nach Arolla ist einfach. So einfach, dass wir uns dafür entscheiden nicht den Bus nach Les Haudères zu nehmen, sondern zu laufen. Wir kommen trotzdem früh genug im Hotel de Veisivi an, um zu waschen, einzukaufen, uns im super bequemen Bett zu Sonnen und vor allem eine ausgiebige Dusche zu nehmen. Ein Traum. Genauso wie das süße kleine Dorf! Zum Abendessen gibt es ein Käsefondue mit Tomaten und Kartoffeln statt Brot. Eine wallisische Abwandlung des traditionellen Fondues. Ein perfekter Tag!

Bei leichtem Regen und überraschend milden Temperaturen starten wir. Den ersten Teil des Weges laufen wir auf der Strecke des Sierra Zinal Trailruns. Regelmäßig kommen uns leicht bekleidete Läufer mit gequälten Gesichtern entgegen. Kein beneidenswerter Lauf heute! Der Regen und Wind nimmt mit der Zeit zu, die Temperatur ab, die Aussicht auf eine heiße Dusche treibt an. Am Pass auf 2.880 M. wird aus dem Regen Schneeregen. Glücklicherweise wird es beim Abstieg ins Turtmanntal etwas besser. Trotzdem friert vor allem Daniel.

Im Hotel Schwarzhorn erwartet uns dann die ersehnte Dusche, außerdem ein tolles Altbauzimmer mit bequemen Betten, die wir dann nur noch kurz fürs Abendessen verlassen. Für den nächsten Tag hatte Daniel noch auf einen Wetterumschwung gehofft. Dieser stellt sich jedoch nicht ein. Wieder heißt es umplanen: wir streichen die Topalihütte und verlegen alles einen Tag nach vorne, um drei Tage in Zermatt zu verbringen, was glücklicherweise unkompliziert klappt.

Der letzte Tag. Kaum zu glauben, dass wir es bis hierher so gut geschafft haben. Wir haben uns noch einmal eine längere Wanderung vorgenommen: über die sog. Pfulwe auf 3.100 M. möchten wir über einen alpinen Wanderweg Zermatt erreichen. Und noch ein Superlativ wartet heute auf uns: mit 1.900 Tiefenmetern steht heute der längste Abstieg der gesamten Tour auf dem Programm.

Bei frostigen Temperaturen und einem fantastischen Wolkenmeer unter uns starten wir über den wenig begangenen Weg von der Hütte. Richtung Joch spüren wir dann den nahenden Herbst deutlich: Neuschnee bedeckt die karge Landschaft und nur zwei Wanderer sind - vermutlich am Vortag - unseren Weg bereits gegangen. Die Ausblicke sind überwältigend. Hinter uns Weißhorn und Täschhorn, deren Gletscher und Schneefelder in der Morgensonne leuchten. Und dann wird es fast ein bisschen kitschig: mit dem erreichen der Pfulwe breitet sich die gesamte Mattertalprominenz vor uns aus: Dufourspitze, Matterhorn, Lizkamm, Breithorn, etc. Ein schöneres Finale könnte man sich nicht ausdenken!

Wir sind alleine auf weiter Flur und genießen den Moment intensiv, bevor wir uns auf den langen Abstieg machen. Ohne Eile wandern wir nach unten. Die Menschen werden mehr. Die Luft wieder wärmer und als wir in Zermatt ankommen, fühlt es sich an, als ob wir aus einer anderen Welt kommen. Unser Hotelzimmer ist zentral, klein und gemütlich und unsere Kleiderbox, die wir mit der Post vorausgeschickt hatten, wartet bereits auf uns. Ein perfektes Ende für einen weiteren perfekten Wandertag.